Internet und Computer im Unterricht Wirtschaftsdeutsch
Matthias Jung (Institut für internationale Kommunikation/Universität Düsseldorf)
1 Einleitung
Im Sinne der doppelten Thematik dieser Tagung - Fernunterricht einerseits, Unterricht in Wirtschaftsdeutsch andererseits - versuche ich in den folgenden Ausführungen beide Aspekte zu verbinden und möchte dabei auf sogenannte "neue Medien” eingehen. Obwohl es mittlerweile eine durchaus stattliche Zahl von Veröffentlichungen über computer- bzw. internetgestütztes Lernen im Fremdsprachenunterricht und selbstverständlich auch für den Bereich DaF gibt, sind spezifische Überlegungen für Wirtschaftsfremdsprachen derzeit noch Mangelware - obwohl sich, wie zu zeigen sein wird, gerade hier besondere Perspektiven ergeben:
- die Lehrkräfte für Wirtschaftsfremdsprachen benötigen eine doppelte Qualifikation (Sprachwissen+Sachwissen Wirtschaft) und haben, da sie ganz überwiegend allgemeinsprachlich ausgebildet sind, im Bereich "Sachwissen” einen erhöhten Informations- und Weiterbildungsbedarf
- den Lernern von Wirtschaftsfremdsprachen fehlt - außer wenn es sich um bereits im Beruf stehende Erwachsene handelt - diese Sachkenntnisse bzw. das Verständnis für die berufliche Praxis ebenfalls. Sie bauen in der Regel Sach- und Sprachkenntnisse parallel auf.
- für den Fachunterricht besteht im Bereich Fremdsprachen die besondere Schwierigkeit, daß die für den späteren Beruf relevant werdenden sprachlichen Spezialkenntnisse nicht vorhersehbar sind, d.h. daß die Lücke zwischen dem im Unterricht Gelernten und dem in der Praxis Verlangten sehr groß sein kann und individuell geschlossen werden muß
- schließlich veralten im Unterschied zum gemeinsprachlichen Grundwortschatz wirtschaftsbezogene Sprachkenntnisse besonders schnell bzw. müssen ständig durch neues Wissen und Vokabeln aktualisiert werden
Eine Konsequenz dieser Spezifika des wirtschaftsbezogenen Fachsprachenunterrichts scheint zu sein, daß die Förderung der Lernerautonomie, Ansätze zur möglichst realistischen Simulation beruflicher Wirklichkeit und Weiterbildungsfragen in der fachdidaktischen Diskussion - allerdings nicht unbedingt in der Unterrichtspraxis - eine besondere Rolle spielen. Ich erinnere an die Förderung der Lesekompetenz von fachsprachlichen Texten (z.B. Wirtschaft auf Deutsch), an das Planspielkonzept von "Marktchance Deutsch” (Jürgen Bolten/Klett) oder an die schon in der Lehrlingsausbildung eingesetzten "Übungsfirmen”.
Durch die Nutzung des Internet und computerunterstütztes Lernen gewinnen diese Konzepte eine neue Qualität, wobei die interessantesten Ansätze zunächst nicht fremdsprachendidaktischer Art sind, sondern aus der fachlichen Berufsbildung und -praxis stammen.
2 Das World Wide Web im Unterricht Wirtschaftsdeutsch
Beginnen wir mit dem Internet. Die fremdsprachendidaktischen Nutzungsmöglichkeiten der elektronischen Post, neudeutsch E-Mail (das oder die; Verb mailen), lasse ich beiseite, da sie nicht fachsprachenspezifisch sind. Konzentrieren möchte ich mich dagegen auf das Internet als für Hochschulen und andere Bildungsinstitutionen kostenlose und hochaktuelle Informationsquelle, d.h. technisch gesehen beschränke ich mich auf das frei zugängliche World Wide Web, das in den letzten Jahren eine phänomenale Ausweitung erfahren hat, und lasse kostenpflichtige Informationsdienste professioneller Anbieter (T-Online, America Online, Microsoft Network u.a.) außer acht. Bei der folgenden Diskussion der Nutzungsmöglichkeiten unterscheide ich drei Parameter
- Zweck: Lehren vs. Lernen
- Modus: interaktiv vs. nicht-interaktiv
- Texttyp: fremdsprachendidaktisch vs. nicht-fremdsprachendidaktisch
Es geht mir hierbei nicht um Zukunftsmusik, sondern um die bereits heute realistische Unterstützung des Unterrichts in Wirtschaftsdeutsch durch das weltweite elektronische Netz. Greift man lediglich auf das ungeheuer vielfältige, nicht-fremdsprachendidaktische, nicht-interaktive Angebot im Bereich Wirtschaft zurück, kann man beispielsweise:
- sich zu jedem beliebigen Wirtschaftsthema tagesaktuelle Presseartikel ausdrucken oder zur didaktischen Adaption in das Textverarbeitungssystem übernehmen
- die neuesten Statistiken und Graphiken über den Arbeitsmarkt in einem deutschsprachigen Land einer Region/einer Stadt oder über die Geschäftsentwicklung einer bestimmten Firma ausdrucken
- Grundlagentexte zur europäischen Union plus Erklärungen der wichtigsten Fachtermini oder eine Chronologie der Entwicklung der EU besorgen
- wirtschaftswissenschaftliche Literatur recherchieren und möglicherweise direkt beimVerlag bestellen
- kostenloses Informationsmaterial und Publikationen von Firmen und Behörden anfordern
- Bankleitzahlen, Telefonvorwahlen und -preise, Bahn- und Flugverbindungen herausfinden
- die Adressen alle Firmen einer bestimmten Branche und/oder in einem bestimmten Ort herausfinden
- Praktikumsplätze recherchieren und Stellenangebote einholen
- aktuelle Börsenkurse ermitteln und an Börsenspielen teilnehmen
- den aktuellen Messekalender abrufen und zu jeder beliebigen Messe erschöpfende Informationen erhalten
- herausfinden wie der österreichische, deutsche oder Schweizer Finanzminister heißt und wie er aussieht
- eine kostenlose Kleinanzeige im Internet aufgeben
- genaue Informationen über Sprachkurse Wirtschaftsdeutsch erhalten
Kurz zu allen klassischen Themen, die in Lehrbüchern für Wirtschaftsdeutsch behandelt werden (Messen, Arbeitsbeziehungen, Terminvereinbarung, Wirtschaftsgeographie, Banken und Börse) ist man über das Internet idealerweise nur Sekunden von authentischen Materialien und hochaktuellen Informationen entfernt. Gerade im Ausland, wo diese Informationen auf dem "klassischen” Weg (über Zeitschriftenabonnements, per Post, über eine Bibliothek oder per Telefon) nur mit viel Schwierigkeiten und hohen Kosten - wenn überhaupt - zu besorgen sind, ist das Internet die Lösung: Schnell, gratis und unabhängig von der deutschspezifischen Ausstattung der eigenen Hochschule gelangt man an (fast) alle gewünschten Materialien. Tendenziell hebt das Internet die Nachteile geographischer Entfernung auf. Das klingt fast zu schön, um wahr zu sein, und natürlich gibt es auch hier den ein oder anderen Haken (einen Internetzugang einmal vorausgesetzt):
- ohne die richtige Internet-Adresse sind die gewünschten Informationen unerreichbar
- das individuelle Sammeln von Adressen ist langwierig und nicht sehr effektiv
- der zeitliche Aufwand, um beispielsweise über eine sogenannte "Suchmaschine” die gewünschten Informationen aufzuspüren, ist hoch
- man muß erst mehrere Internetadressen mühsam ausprobieren und u.U. jeweils viele Minuten auf das Übertragen komplexer Grafiken und Bilder warten, bevor man eine brauchbare Web-Seite findet
Unter dem zeitlichen Druck des ständig zu gebenden Unterrichts bleibt das Internet deshalb für die meisten Lehrer eine unrealistische Verheißung. Am Institut für Internationale Kommunikation Düsseldorf haben wir zur Abhilfe des gegenwärtigen unbefriedigenden Zustands eine "Kommentierte Internetbibliographie Wirtschaftsdeutsch” entwickelt und der elektronischen Welt unter folgender Adresse zur Verfügung gestellt:
http://www.wirtschaftsdeutsch.de/webliographie/
Für diese Internetbibliographie gelten folgende Prinzipien
- Das Angebot ist nach verschieden Kategorien sortiert (etwa: wirtschaftsbezogene Suchdienste, Praktika und Jobs, Wirtschaftsnachrichten und -artikel, Behörden und Ministerien, Banken und Börse, Fortbildung Wirtschaftsdeutsch u.a.)
- Um die Liste übersichtlich zu halten und eine hohe Qualität zu garantieren wurden nur deutschsprachige und auf deutschsprachige Länder bezogene Links (d.h. Internetadressen, die durch Anklicken auf dem Bildschirm) zum Thema Wirtschaft aufgenommen, die wir getestet und für brauchbar befunden haben
- Alle Links erhielten einen neuen, möglichst eindeutigen Namen, gefolgt von der Internetadresse in Klammern, so daß auch eine ausgedruckte Liste von Nutzen ist
- Kommentare geben eine genaue Vorstellung von Inhalt, Qualität und technischen Erfordernissen, bevor man die betreffende Seite lädt und evtl. einige Minuten umsonst wartet
- Durch den Verzicht auf graphische Elemente oder auf Raffinessen, die nur mit neuester Software oder modernster Hardware korrekt darstellbar sind, ist die "Kommentierte IIK-Bibliographie Wirtschaftsdeutsch” sehr schnell auf dem eigenen Bildschirm verfügbar
- Ein übersichtliches Inhaltsverzeichnis erlaubt den direkten "Sprung” in die die einzelnen Unterkategorien
- Man kann die Internetbibliographie nicht nur ausdrucken, sondern auch auf dem eigenen Computer abspeichern, ggfs. individuell bearbeiten, d.h. man muß sie nicht jedes Mal erst wieder von den Web-Seiten des IIK laden (sinnvollerweise sollte man sich aber von Zeit zu Zeit die neueste Fassung der Bibliographie überspielen, da sie ständig aktualisiert, ergänzt und verbessert wird)
Für den Bereich Wirtschaftsdeutsch ist diese Internetbibliographie m.W. bisher die einzige ihrer Art, während es für den Bereich Deutsch als Fremdsprache allgemein bereits eine Reihe hervorragender Angebote, meist nordamerikanischer Universitäten (USA/Kanada), gibt. Unsere Bibliographie ist aber erst im Aufbau und wird monatlich überarbeitet. Hinzu kommen derzeit vor allem auch eigene Lehrmaterialien zum Unterricht Wirtschaftsdeutsch, die frei kopiert werden dürfen, soweit sie nicht-kommerziell genutzt werden. Natürlich nutzen wir dieses Angebot auch, um auf unser Institut und seine Kursangebote, Projekte, Arbeitsbereiche etc., auf die Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf und die umliegende Wirtschaftsregion aufmerksam zu machen.
IIK-Internet-Bibliographie Wirtschaftsdeutsch - Überblick über die Kategorien
Hinweise zur Benutzung
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Aktuelle Wirtschaftsmeldungen
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Wirtschaftsstandort Düsseldorf (nicht mehr verfügbar)
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Finanzwelt
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Institut für Internationale Kommunikation
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Industrieunternehmen
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Kurse Wirtschaftsdeutsch
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Wirtschaftspolitik & -institutionen
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Fachliteratur Wirtschaft
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Jobs & Praktika
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Didaktik des Wirtschaftsdeutschen
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Hilfsdienste
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Materialien Wirtschaftsdeutsch
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Vermischtes
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DaF-Internetbibliographien
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Wirtschaftssuchdienste /
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Derartige Bibligraphien sind selbstverständlich nicht nur etwas für die Hand des Lehrers, sondern bsonders nützlich für Studierende, soweit sie Zugang zum Internet haben. Verteilt man entsprechende Arbeitsaufträge (z.B. "Referieren Sie über die geplante Währungsunion in der EU”), lernen die Studierenden mit Hilfe der Bibliographie selbständig neueste Informationen zu recherchieren. All das ist bereits, wie gesagt heute möglich. Noch weitgehend in den Kinderschuhen steckt die Nutzung des World Wide Web als "interaktives Medium”, d.h. als Medium mit speziell für den Unterricht in Wirtschaftsfremdsprachen didaktisierten Materialien, bei denen der Lerner auch eine Rückmeldung bekommt - etwa wenn er selbständig Übungen erledigt oder einen kleinen Aufsatz schreibt und anschließend ein automatisiertes bzw. persönliches Korrekturfeedback erhält. Einen guten Überblick zum Fremdsprachenlernen im Internet mit englischen, französischen und deutschen Übungsbeispielen gibt - auf Englisch - Manfred Prokop unter der Adresse:
http://www.ualberta.ca/~german/present.htm
Ich kann mir deshalb an dieser Stelle weitere Ausführungen sparen.
3 Computer im Unterricht Wirtschaftsdeutsch
Ähnlich wie beim Internet steht auch bei den berufsbezogenen Computerprogrammen die Nutzung im Unterricht in Wirtschaftsdeutsch erst am Anfang, denn es handelt sich nicht um mehr als etwa Vokabelprogramme, die mit wirtschaftswissenschaftlichen statt mit allgemeinsprachlichen Ausdrücken gefüttert sind. Ich möchte mich im folgenden auf Wirtschaftssimulationprogramme konzentrieren, die nicht für den Fremdsprachenunterricht konzipiert sind, aber voll dem eingangs erwähnten Trend zur möglichst realistischen Abbildung betrieblicher Abläufe im Fremdsprachenunterricht und der "natürlichen" Verknüpfung von Sach- und Sprachfertigkeiten liegen. Auch hier ist mittlerweile eine neue Qualität erreicht.
Deutschsprachige PC-Programme bzw. "-spiele” simulieren mittlerweile Börsenhandel und spekulation ("Fondsmanager" der Dresdner Bank AG), Unternehmensführung ("Cabs" von Virtual Management Simulation Software), Gründung neuer Staaten ("Die Siedler I&II" von Bluebyte), Verwaltung und Administration ganzer Städte ("Sim-City" und Sim-Tower von Maxis) oder die vollständige Finanz- und Warenbuchhaltung einer Firmen von Warenbestellung über Wareneingang, Verkauf, Versteuerung, Überweisung, Personalabrechnungen, Bilanzerstellung, Gewinn- und Verlustrechnung, Budgetplanung, Standardkontenrahmen etc. und sind dabei perfekt auf die diesbezüglichen deutschen Gepflogenheiten und Gesetze abgestimmt. Der besondere Vorteil ist außerdem, daß mittlerweile sehr ausgereifte und benutzerfreundliche Universalprogramme unter WINDOWS auf dem Markt sind (z.B. "Quickbooks" von Intuit), die sich ausdrücklich an weitgehende Laien richten (Kleinunternehmen bzw. Unternehmensgründer) und deshalb auch eine gut durchdachte Hilfefunktion mit zahlreichen Sacherklärungen, "Übungs-Lektionen" und Beispielsfirmen enthalten.
Über die Einsatzmöglichkeiten dieser Programme im Unterricht Wirtschaftsdeutsch ist m.W. bisher kaum nachgedacht worden. Dabei eignen sie sich sehr gut nicht nur für das individuelle Lernen, sondern auch für den Gruppenunterricht. Teuer ausgestattete PC-Räume sind dafür nicht unbedingt notwendig, denn diese Software läßt sich mit einem Notebook per LC-Display oder sonstiger Projektionsmöglichkeit für den Gruppenunterricht nutzen. Beispielsweise kann das Planspiel in "Marktchance Deutsch" per Buchungsprogramm unterstützt werden, indem Rechnungen und Schecks im Namen simulierten Unternehmens ausstellt oder die Bilanz des fiktiven Betriebes abruft und mit der einer anderen Gruppe vergleicht. Zum zweiten lassen sich bei komplexeren Wirtschaftssimulationsprogrammen die notwendigen Entscheidungen in Kleingruppen besprechen, anschließend die ökonomischen Auswirkungen der Entscheidung direkt kommentieren und die Ergebnisse dann im Plenum diskutieren oder als schriftliche Hausaufgabe erörtern. Hier schließt sich der Kreis zur Nutzung des Internet, da es auch dort immer mehr Planspiele gibt, die zum Teil als Wettbewerbe internationaler Gruppen gegeneinander organisiert sind.
4 Fazit
Der schnelle Wandel in der Qualität der Soft- und Hardware stellt die Lehrenden im Bereich Wirtschaftsdeutsch wieder einmal vor besondere Herausforderungen. Er begünstigt den Trend zur Simulation beruflicher Wirklichkeit, Aktualität der Lehrmaterialien und stärkere Autonomie der Lerner. Positiv an der neueren Entwicklung ist, daß die Standortnachteile im nicht-deutschsprachigen Ausland tendenziell verringert werden, negativ, daß weitere technische Fertigkeiten vom Lehrenden verlangt werden und die Aktualität von Texten u.U. zu sehr in den Vordergrund gerät. Darüber darf nicht vergessen werden, daß durchdachte Lehrmaterialien mit einer sinnvollen sprachlichen Progression nicht aus dem Boden zu stampfen sind. Ihre Qualität hängt nicht von der Tagesaktualität der Inhalte ab, sondern beruht auf Erfahrung, Erprobung und Überarbeitung. Mit meinem Plädoyer für Internet und Simulationsprogramme im Unterricht Wirtschaftsdeutsch möchte ich diese solide Grundlage auch keineswegs in Frage stellen, sondern lediglich ergänzen. Dann erhöht der wohlüberlegte, lernzieladäquate Einbezug der neuen Techniken nicht nur die Glaubwürdigkeit des Lehrenden, sondern auch die Qualität des Unterrichts und dient nicht zuletzt seiner eigenen Fortbildung im wirtschaftlichen Denken, Handeln und Kommunizieren.
In: A. Karolyi (Hg.): Didaktik der Wirtschaftsfremdsprachen und Fernunterricht.Vorträge der Fachtagung in Budapest 18.11. -19.11.1996, Budapest 1997 (im Druck)